E-Roller – Kinderzimmer Grossstadt
Der Miet-E-Roller ist seit langem sicherlich das anarchischste Fortbewegungsmittel, welches zur frei verfügbaren Benutzung zugelassen wurde und zu einem regressiven Umgang einlädt.
Regression: „Wer sich von altersentsprechenden Verhaltensweisen auf frühere Entwicklungsstufen zurückzieht, der regrediert“.
Also – mit etwas Humor – wenn wir wieder in die Hose machen oder wieder am Daumen nuckeln, wenn der Chef mit uns geschimpft hat, regredieren wir. Eine reife Leistung gelingt nicht, also versuchen wir es mit Methoden, die uns als Kind so einigermaßen mal geholfen haben, Druck zu verarbeiten.
Das ist aber auch nur die pathologische Form. Regression hat aber auch eine lustvolle Komponente, wenn wir willentlich in sie einsteigen und willentlich aus ihr wieder hervorkommen können.
Nichts ist doch z.B. schöner, als aus dem Anzug hinein in eine kurze Hose zu schlüpfen und dem runden Freund, der nicht mehr aus Leder ist, nachzulaufen. Um dann frisch geduscht noch ein bisschen an der Flasche zu nuckeln, bevor es wieder in den Ernst des Lebens geht.
Wie schön war es doch, im Kinderzimmer die Legosteine, Puppen, Ritter und Burgen im Zimmer zu verteilen, um sie höchstens zum Schlafengehen etwas beiseite zu räumen.
Es ließen sich noch mehr Beispiele aufzählen. Aber eins ist allen gemeinsam: Diese Alltagsregressionen finden in dafür geschaffenen Erlebnis-Räumen statt. Wobei, ich habe noch im Rinnstein an der Strasse gespielt, in Trümmergrundstücken (Eltern haften für ihre Kinder) etc. Das waren zugegeben Zwischenräume. Aber prinzipiell war die Vermischung von Kinderspiel und realem öffentlichem Raum eher gering.
Nun erfüllen die erlaubten E-Roller genau die Kriterien eines Kinderspielzeugs: spontan benutzbar, leicht zugänglich und beherrschbar, lustbetont und überall können sie liegen gelassen werden. Gleichzeitig sind sie aber auch hochoffiziell für den öffentlichen Raum zugelassen. Juchei, aus meiner Stadt wird mein Kinderzimmer. Aus dem Ernst des Lebens wird mein Kinderspiel.
Ähnliche Themen gab es schon im Zuge der Inline-Skatewelle. Hier mussten auch Regeln nachgezogen werden, so dass der anarchische Spaß am Regellosen wieder genommen wurde. Allerdings gibt’s natürlich den feinen Unterschied, dass man unpraktischerweise die Skates nicht irgendwo liegen lassen konnte.
Wenn man also im sehr nüchtern geregelten öffentlichen Raum ein Kinderspielzeug als Fortbewegungsmittel zulässt, muss man sich nicht wundern, wenn diese Steilvorlage genutzt wird, um den öffentlichen Eltern im kindlichen/pubertären Widerstand zu zeigen, wie langweilig sie sind und wer wirklich das Heft in der Hand hat.
Was im ersten Augenschein als sinnige Ergänzung in der Fortbewegung im öffentlichen Raum daherkommt, ist im Grunde ein Lustobjekt, welches dazu einlädt, Kinderzimmerregeln ins Wohnzimmer zu tragen. Und die Lust ist zuvorderst das stärkste Marketinginstrument. Man darf also gespannt sein, wie die Anbieter als Kinderanwälte und die Politik als Elternanwälte die Nutzung zwischen Anarchie und Verbot, zwischen Lust und Regeln, im Sinne des Gemeinwohls aushandeln werden.