VIRUSANARCHIE UND REGELUNGSWUT
Wir Menschen neigen dazu, bei Enttäuschung, Verletztheit, Scheitern unser Verhalten, unsere Einstellung, innere Haltung ins Gegenteil zu verkehren. Aus dem enttäuschten Liebhaber wird der Don Juan oder die Eisprinzessin. Aus dem sportlichen Techniker wird der Haudrauf, aus der Angst vor etwas wird ein aggressives um sich hauen. Aus dem coolen Kollegen wird ein A…lochchef. Dabei bleiben jedoch die ursprünglichen Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste tief verborgen.
Dann sind es oft Live-Events, schwere Krisen, die Menschen dann zu einer Relativierung, Umdenken, Reintegration früherer Anteile bewegen. Oder man fühlt sich nicht mehr wohl in der eigenen Haut und sucht eine therapeutische Behandlung auf.
Entwicklungsziel ist es dann, aus dem Entweder-Oder ein Sowohl Als Auch zu machen und die Fähigkeit aufzubauen, das Kontinuum der Ambivalenzen kreativ bespielen zu können. Das verschafft gesunde Anpassung, gesunde Flexibilität, und mit der Mitwelt im Konflikt fähigen Austausch bleiben zu können.
Kurz und gut, die Überwindung unserer narzisstischen Verletzungen geht nicht durch den Austausch des Teufels mit dem Belzebub, sondern über die Bereitschaft, die Verletztheit mit anderen kommunikativ behandelbar zu machen. Konflikt schafft Klarheit, aber oft genauso gut neue Nähe, nach der wir uns doch alle sehnen.
Nun zeigt das Coronavirus unserer geregelten freiheitlichen Grundordnung eine lange Nase und lebt eine rücksichtslose Anarchie aus, die unsere Grundangst des Freiheitsverlustes anstößt, wozu nicht zuletzt auch die Todesangst gehört. Diese Verlustangst regt nun aus tiefer Verletztheit heraus eine Überlebenswut an, die verzweifelt nach Halt und Ordnung sucht, um die Angst ungeschehen zu machen, nicht spüren zu müssen. Die damit korrespondierende ambivalente Gegenreaktion ist, die Existenz des Virus zu verleugnen, verstecken zu spielen, indem man sich die Hände vor die Augen hält.
Somit stehen sich die Regelungswut unserer politischen Führung und die Verleugnung der Corona-Protestbewegung als zwei Extreme eines Kontinuums gegenüber.
Entsprechend meinen Ausführungen oben, gilt es nun, clever, flexibel, durchlässig, aber auch die schmerzhafte Wahrheit unserer Versehrtheit eingestehend, dieses Kontinuum zu bespielen. Es gilt dort Ordnung zu schaffen, wo der faule Apfel die ganze Gruppe gefährdet, und es gilt dort neue Freiheiten zu schaffen, wo kreative Potentiale im Umgang mit der Realität clevere Lösungen finden können.
Die Angst vor der Anarchie des Virus führt jedoch auf Grund des verzweifelten Ordnungsdrangs zu einer Einschränkung von Potentialen insbesondere in den Bildungs- und Kulturstätten. Die Regelungswut unserer demokratischen Führung knickt aber dort ein, wo anders als in der 1. Welle wohl (viel erfährt man ja nicht leider) die Hauptinfektionsquellen liegen, nämlich im privaten Raum.
Es werden lieber Museen geschlossen, die sehr sehr gut ihre Besucherströme lenken können, als dort einzugreifen, wo Unvernunft herrscht.
So werden z.B. Poltiker derzeit wohl mit abertausenden Emails überschüttet, von denen die meisten nichts Sachdienliches beitragen. Meine Prokura bekommt hier jeder Politiker, entscheidend auf Löschen zu drücken. Es gilt doch, diejenigen zu schützen und mit ins Boot zu holen, die sich auch ohne Regelungen in einen abgesicherten Modus eingerichtet haben. Und dies allein aufgrund der Tatsache, die Existenz des Virus als Realität anzuerkennen und sich vernünftig gemäß der mit dem Virus verbundenen Gefahren zu verhalten, um weder sich und noch viel wichtiger niemand anderen unnötig in Gefahr zu bringen.
Grade jetzt In der Gefahrenangst braucht es weder Starre noch Übersprungshandlung. Es braucht Mut, Kreativität und verstärkt Solidarität, damit aus dem Land der Dichter und Denker kein Land der Auswendigsager und Bestimmer wird.